Bei der Restaurierung von Technik komme hinzu, dass für eine dem Artefakt gerecht werdende Restaurierung das genaue Verständnis von dessen Zweck und Funktionalität besonders wichtig ist – und hierfür teilweise besondere Forschungsarbeit geleistet werden muss.
„Technische Artefakte haben oder hatten eine zweckgebundene Funktion“, erklärt sie. Diese Funktion müsse ein Restaurator erschließen. „Dabei spielen z.B. die Gebrauchsspuren eine wichtige Rolle. Sie zeigen uns, welche Rädchen besonders oft gedreht und welche Hebel besonders oft bewegt wurden.“
So hat sie – nach dem Studium der Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft an der TUM – aus den Fragmenten einer Maschine von Computerpionier Konrad Zuse ein vollständiges System wieder zusammengesetzt: Für ihre Doktorarbeit hat Nora Eibisch im Deutschen Museum geforscht und anhand von Zuses zeichnerischen Entwürfen die Montagestraße SRS 72 restauriert.
„Zuses Grundidee war, mikroskopisch kleine technische Systeme zu realisieren, die sich analog zu biologischen Zellen verhalten“, erklärt sie. Schon in den 1940ern hätte er seine ersten Entwürfe für automatisierte Rechenmaschinen erfolgreich umgesetzt und sich davon ausgehend eine Zukunft vorgestellt, in der Künstliche Intelligenz unser Leben bestimmt, so Eibisch: „Heute fassen wir viele von Zuses visionären Ideen unter dem Schlagwort ‚Digitalisierung‘ zusammen.“
2010 stand die damalige Promovendin also vor einer großen Menge von Einzelteilen der komplexen Pionier-Maschine und fand heraus, welche Teile wie zusammengehörten und wie sie zum funktionsfähigen Ganzen zusammengebaut werden konnten. Eine ungeheure Meisterleistung.
Im Studium habe sie gelernt, „die richtigen Fragen zu stellen – das bereichert mein Leben bis heute“, sagt Eibisch. Und den „organisierten Freiraum“ genossen: „Im Grundstudium wurden die Grundlagen gelegt, und im Hauptstudium konnte ich mich darauf aufbauend frei entfalten“, erklärt sie. Ihre Arbeit hat sie zunächst ins Deutsche Museum, dann ins Silicon Valley ans Computer History Museum in Mountain View geführt, wo sie an verschiedenen Projekten beteiligt war.
Mein Traum wäre es, diese Maschine aus 765.000 Einzelteilen zu restaurieren.
Diese Rechenmaschine zu rekonstruieren, ist ein Traum von Nora Eibisch: „Die Maschine ist unglaublich komplex mit ihren mehr als 800 km Kabel, die 765.000 Einzelteile verbinden, darunter 3500 Relays“, erklärt sie. „Der Mark I lief über 15 Jahre im Dauerbetrieb und muss einen ganz schönen Lärm gemacht haben.“ Dabei konnte sie weitaus weniger als ein heutiger Taschenrechner.
„Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor dieser Maschine, geben ihr eine Aufgabe, wie z. B. die Berechnung einer Parabel, und sehen zu, wie diese Maschine mit lautem Klacken und Brummen ein paar Stunden später ein Ergebnis auf Lochstreifen ausgibt, das Sie mit ihrem Smartphone innerhalb von Sekundenbruchteilen grafisch dargestellt erhalten haben. Dann kann man erahnen, wie rasant und unvorhersehbar sich die Technik weiterentwickeln wird.“
Die Anfänge dieser technischen Entwicklung zu verstehen und in ihrer historischen Dimension erfassen zu können – das ist die Herausforderung für Technik-Restauratoren wie Nora Eibisch.
Diplom Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft 2009, Promotion 2015
Dr. Nora Eibisch promovierte nach ihrem Diplom im Studiengang Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft bei Professor Erwin Emmerling.
Für ihre Doktorarbeit restaurierte und rekonstruierte sie die „Montagestraße SRS 72“ von Konrad Zuse und erhielt dafür 2016 den Promotionspreis des Bund der Freunde der TUM. Ihre Arbeit ist – wie ihr Doktorvater in seiner Laudatio betonte – „ein Lehrstück dessen, was durch engagierte Restaurierung geleistet werden kann“.
Für verschiedene Projektarbeiten am Computer History Museum in Mountain View zog die gelernte Schreinerin 2017 mit ihrer Familie nach Palo Alto und lebt mittlerweile zusammen mit ihrem Mann, Christoph Lippert (Bioinformatik 2008), und ihren beiden Kindern in Berlin.