„Wir mussten hoch fliegen, um nicht beschossen zu werden“
Als Bauforscher und Bauhistoriker ging Manfred Schuller ein Leben lang mit ungebrochener Begeisterung diesen Fragen nach. Üblicherweise spezialisieren sich Bauforscher auf nur eine Zeitschicht. Für Manfred Schuller galt das nicht. Seine Interessen waren zu breit gefächert. Und so überspannten seine Forschungsschwerpunkte griechische Tempel, mittelalterliche Kathedralen und Paläste der Renaissance ebenso wie barocke Gartenanlagen, die islamische Architektur und russische Eisenarchitektur.
MIT LEIB UND SEELE
Dass er Architektur studieren würde, war für Manfred Schuller, der schon als Jugendlicher Bücher zu historischen Bauten sammelte, abgemachte Sache. 1975 nahm er das Studium der Architektur an der TUM auf. An der Ludwig-Maximilians-Universität studierte er Klassische Archäologie und Kunstgeschichte gleich noch mit dazu. Für seine Sonderdiplomarbeit bei TUM-Professor Friedrich Kurrent bekam er 1981 die seltene Note 1,0 – und etliche Angebote von renommierten Architekturbüros, blieb aber bei seiner Leidenschaft, der Baugeschichte. Für seine Promotion im Fach Baugeschichte und Bauforschung bei dem renommierten Lehrstuhlinhaber Professor Dr. Gottfried Gruben erhielt er 1985 den Preis des Bund der Freunde der TUM.
Der TUM gelang es, mich abzuwerben.
JENSEITS GEWOHNTER PFADE
Schon seit seiner Studienzeit an der TUM fand es Manfred Schuller faszinierend, dass die Methoden der Bauforschung – Steine und Hölzer als Primärquelle zu befragen, Indizienketten aufzubauen und wie ein Puzzle möglichst vollständig zusammenzusetzen – in allen Zeitschichten von der Antike bis ins 20. Jahrhundert hinein funktionieren. Sein lebenslanger Antrieb war es, die hochentwickelte Methodik, die er von seinem Doktorvater Gottfried Gruben auf den Kykladen erlernt hatte, auch auf andere Epochen und Strömungen jenseits der dorischen Architektur und jenseits von Griechenland zu übertragen.
Nicht nur bei seinen eigenen Projekten, sondern auch bei den von ihm betreuten Dissertationen galt für Manfred Schuller dabei stets das Grundprinzip der Arbeit vor Ort. Mit dem Regensburger Dom, dem Trierer Dom und dem Kirchenfragment in Lorsch untersuchte er UNESCO-Weltkulturerbe. In Venedig erforschte er den Markusdom, in Rom und auf griechischen Inseln Tempel und Ruinen, in Russland die Eisenbauten des großen Ingenieurs Vladimir Šuchovs. „Jedes der Projekte hatte seinen eigenen Reiz“, sagt er. „Oft auch durch die Lage der Denkmäler im Umfeld historischer Städte oder völlig abseits in grandioser Landschaft.“
WIE IM FILM
Nicht selten meldete sich das Finanzamt bei Manfred Schuller. Dort konnte man nicht glauben, dass sich ein Professor statt in der Bibliothek vermeintlich nur in beschaulichen Urlaubsorten herumtrieb. Wenn die Finanzbeamten von seinem Forschungsaufenthalt in der Autonomen Republik Nachitschewan erfahren hätten, wäre er sie sicherlich losgeworden.
In der hermetisch abgeriegelten Exklave Aserbaidschans sollte Manfred Schuller monumentale mittelalterliche Grabbauten untersuchen. In die Gegend durfte normalerweise kein Ausländer einreisen. Zugang gab es nur mit dem Flugzeug von Baku aus. „Wir mussten hoch fliegen, um nicht von Bergkarabach aus beschossen zu werden“, berichtet Manfred Schuller von diesem Abenteuer. „Doch die beeindruckenden Grabbauten vor dem schneebedeckten Berg Ararat waren es wert.“
Prof. Dr. Manfred Schuller
Diplom Architektur 1981, Promotion 1984
Nach dem Abitur studierte Manfred Schuller in den Jahren von 1975 bis 1980 Architektur an der TUM und parallel von 1976 bis 1979 Klassische Archäologie und Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1981 legte er an der TUM das Diplom ab, 1984 folgte die Promotion.
Von 1986 bis 2006 war Manfred Schuller an der Universität Bamberg Professur für Bauforschung und Baugeschichte. Er war dort Dekan und Prodekan der Fakultät für Geschichts- und Geowissenschaften und auch Senator der Universität.
2006 wurde er zum Lehrstuhlinhaber für Baugeschichte, Historische Bauforschung und Denkmalpflege an der TUM berufen. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2019 brachte er hier zahlreiche große Forschungsprojekte zu einem erfolgreichen Abschluss. 2019 wurde er von TUM-Präsident Thomas F. Hofmann mit dem Ehrentitel TUM Emeritus of Excellence ausgezeichnet.
Auch im Ruhestand arbeitet Manfred Schuller noch an drei großen Veröffentlichungen. Zudem lässt er sich seine Verpflichtungen in diversen Kommissionen wie dem Landesdenkmalrat Bayern und dem Internationalen Rat für Denkmalpflege nicht nehmen. Doch hauptsächlich will Manfred Schuller die Pensionszeit gemeinsam mit seiner Frau auf dem Landgut im italienischen Ligurien verbringen. Dort möchte er Olivenbäume, Zitronenbäume und den großen Gemüse- und Kräutergarten pflegen, Wein trinken und übers Meer schauen.