Porträtfoto von Johann Deisenhofer.

TUM Alumnus Prof. Dr. Johann Deisenhofer wurde 1988 gemeinsam mit Robert Huber und Hartmut Michel mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet (Foto: Johann Deisenhofer).

Alumni mit Nobelpreis
Nobelpreisträger Johann Deisenhofer
„Als Wissenschaftler wird man nie alles wissen, aber ständig Neues entdecken“
30. Jul 2024
Lesezeit ca. Min.
Mitte der sechziger Jahre kam Johann Deisenhofer als junger Student an die TUM. Die Aussicht, Vorlesungen bei Nobelpreisträger Robert Mößbauer hören zu können, hatte ihn angezogen. Die ersten Studienjahre prägten sein Verständnis von Physik und der Arbeit von Wissenschaftlern grundlegend. Mit seiner anschließenden Promotion tauchte er tiefer in den damals noch neuen Bereich der Biochemie ein. Gemeinsam mit Doktorvater und TUM Alumnus Robert Huber entdeckte er Strukturen, die zuvor noch nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hatte. 1988 wurde Johann Deisenhofer – erst 45 Jahre jung – gemeinsam mit Robert Huber und Hartmut Michel mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet.

Im Interview erzählt der TUM Alumnus von seinen Studien- und Promotionsjahren in München, warum er als Professor in die USA ging und wie es für einen eher zurückhaltenden Wissenschaftler ist, plötzlich im Rampenlicht zu stehen.  

Herr Professor Deisenhofer, Ihr Vater war Landwirt. Aufgewachsen sind Sie in einem kleinen oberbayerischen Dort. Wie wurde Ihre Begeisterung für die Wissenschaft geweckt?
Vorgesehen war natürlich, dass ich irgendwann das landwirtschaftliche Anwesen meiner Eltern übernehmen sollte. Aber dafür konnte ich mich schon von Kindheitsbeinen an nie so richtig begeistern. In der Schule allerdings tat ich mir leicht. Ich fing schnell an, eigenständig zu lesen. Und da gab es ein Buch, das mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Es war „Das Grenzenlose All“, ein Sachbuch über die Grundlagen der Astronomie von Fred Hoyle. Es enthielt den Wissensstand der 1950er Jahre zur Astronomie, war wirklich exzellent geschrieben und beim Lesen tat sich für mich eine komplett neue Welt auf. Und da war er geboren: Mein Traum, selbst Astronom zu werden.
Nach dem Gymnasium haben Sie sich aber dann für ein Physikstudium entschieden. Warum?
Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben mich davon überzeugt, dass es besser wäre, ein nicht ganz so spezielles Studium anzufangen. Die Physik würde mir eine gute Grundlage geben, auf der ich später aufbauen könnte. Es war also eine Vernunftsentscheidung.

Bild: Patrick Kunkel/ Lindau Nobel Laureate Meetings

Von Zusamaltheim, wo Sie aufgewachsen sind, fällt die Wahl des Studienortes sehr schnell auf München. Zur Auswahl standen also die TUM und die LMU. Was gab den Ausschlag?
Rudolf Mößbauer war 1964 zum Professor für Physik an der TUM berufen worden. 1961 hatte er den Nobelpreis erhalten. Das stärkte die Position der TUM als Zentrum der physikalischen Forschung in Deutschland und zog Studierende aus ganz Deutschland an. So auch mich. Die halbe Bundesrepublik studierte hier. Ich war Teil einer großen Gruppe von Anfängern. Eine wahnsinnig spannende Zeit.
Haben Sie Mößbauer denn auch erlebt?
Ich habe einige Vorträge von ihm gehört, aber damals ehrlich gesagt nicht viel verstanden (lacht). Insgesamt habe ich meine Anfangszeit an der TUM als sehr anspruchsvoll in Erinnerung, insbesondere nach 18 Monaten Wehrdienst, in denen ich einiges vergessen hatte, was ich im Gymnasium gelernt hatte. Die Mathematik-Kurse fingen beispielsweise mehrere Stufen höher an als mein Wissenstand war. Es war eine ziemliche Herausforderung, aber es ist ja am Ende alles gut gegangen (lacht). In jedem Fall haben bereits die ersten Semester an der TUM meine Auffassung von Wissenschaft völlig auf den Kopf gestellt.
Inwiefern?
Ich erkannte, dass ich eine romantisch verklärte Sicht auf Wissenschaft hatte. Ich dachte immer, ich würde lernen und lernen und irgendwann wüsste ich alles – zumindest in einem begrenzten Gebiet. Uns wurde an der TUM aber beigebracht, dass wir vielleicht ein bisschen etwas wissen, aber es noch viel, viel mehr Dinge gibt, die wir nicht wissen. Ich erkannte, dass mein Jugendtraum, ein Wissenschaftler zu werden, der alles weiß, völlig unrealistisch war.
Die Biophysik versprach viele neue Entdeckungen und es war ein aufregendes, aufstrebendes Feld.

Prof. Dr. Johann Deisenhofer

Wie ist Ihre Auffassung von Wissenschaft heute?
Als Wissenschaftler werden wir nie alles wissen. Aber wir haben das Privileg jeden Tag Neues entdecken und lernen zu können. Was eigentlich noch viel schöner ist als alles, was ich mir als Jugendlicher vorgestellt habe.
Gab es Professoren an der TUM, die Sie besonders beeinflusst haben – abgesehen von Professor Mößbauer?
Von den Mathematikern Hanfried Lenz und Josef Heinhold, und dem Physiker Wilhelm Brenig habe ich sehr viel gelernt. Ihre Vorlesungen waren von unschätzbarem Wert. Ein sehr angenehmer und begabter Lehrer war Ernst-Otto Fischer – ebenfalls ein Nobelpreisträger. Und besonders Klaus Dransfeld, bei dem ich später auch meine Diplomarbeit schrieb, hat mich entscheidend geprägt. Er führte mich in die Biophysik ein, ein damals noch sehr neues Feld, bei dem ich dann aber mein ganzes Leben lang blieb.
Wie kam das?
Professor Dransfeld sollte eine Vorlesung über Biophysik halten und beschäftigte sich zunächst mehrere Wochen mit dem Feld. Und je mehr er las, desto begeisterter wurde er. Seine Begeisterung zog wiederum mich an. Wenn Professor Dransfeld so fasziniert davon war, musste es interessant sein. Die Biophysik versprach viele neue Entdeckungen und es war ein aufregendes, aufstrebendes Feld.
Sie haben dann eine sehr gute Diplomarbeit geschrieben und wollten danach weiter in der Forschung arbeiten. Warum haben Sie sich für eine Karriere als Wissenschaftler entschieden?
Ich konnte mir nie vorstellen, etwas anderes zu tun, als Forschung zu betreiben. Daher wollte ich von Anfang an promovieren. Und so kam es dann auch.
Hat Sie Ihre Familie immer dabei unterstützt?
Sowohl meine Mutter als auch mein Vater standen voll hinter mir. Meine Eltern haben immer gesagt: Wenn du schon diesen Weg gehst, dann versuche das Höchste zu erreichen, was möglich ist. An den Nobelpreis hat damals natürlich niemand gedacht (lacht).
Es gab viele durchaus sehr angesehene Mitglieder dieser Wissenschaftsrichtung, die mir direkt gesagt haben, dass eigentlich nicht geht, was wir vorhaben.

Prof. Dr. Johann Deisenhofer

Sie begannen Ihre Promotion bei Professor Robert Huber, der an der TUM rund zehn Jahre vor Ihnen in Chemie diplomierte und promovierte.
Ich hatte zufällig erfahren, dass es da einen jungen Professor gab am Max-Planck-Institut für Eiweiß- und Lederforschung, der gerade eine ganz neue Gruppe zusammenstellte, um im Bereich der Biophysik zu forschen. Den wollte ich kennenlernen. Also bat ich um einen Termin.
Wie verlief Ihre erste Begegnung?
Er war ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war leger, bodenständig und sprach Bayrisch. In seinem Büro standen Rucksack und Bergschuhe. Anscheinend ging er also oft in die Berge. Das waren viele Dinge, die mich ziemlich schnell für ihn eingenommen haben. Er war auch nur sechs Jahre älter als ich. In seiner Gruppe duzte man sich gegenseitig, was ganz unüblich zur damaligen Zeit war. Dazu war sein Ansatz in der Forschung sehr innovativ und inspirierend. Er machte Pionierarbeit: Die Zahl der Proteinstrukturen, die damals bekannt waren, konnte man an zehn Fingern abzählen. Und er hatte eine davon beigetragen. Es schien eine Umgebung zu sein, wo man viel lernen und ausprobieren konnte. Glücklicherweise hat er mich als Doktorand angenommen.
Wie sah Ihr Arbeitsalltag in der Gruppe aus?
Hauptsächlich bestand meine Arbeit daraus, Daten zu gewinnen über die Röntgenbeugung von Kristallen. Das war damals viel Computerarbeit. Die größte Herausforderung war, dass es kaum brauchbare Software gab und die Computer nahezu hoffnungslos langsam waren und wenig Speicherkapazität hatten. Es gab keine interaktiven Displays, auf denen man sich die Strukturen ansehen konnte. Man musste ein Metallmodell erstellen und das mit den Ergebnissen vergleichen. Es war so viel mühsamer als heutzutage.
Waren Sie sich damals sicher, dass Sie in dem Projekt gute Forschungsergebnisse erzielen würden?
Es gab viele durchaus sehr angesehene Mitglieder dieser Wissenschaftsrichtung, die mir direkt gesagt haben, dass eigentlich nicht geht, was wir vorhaben. Die Arbeit brachte viele Rückschläge, vor allem bei der Kristallisation der Proteine. Denn Proteine sind eigentlich nicht dafür gemacht, dass sie kristallisieren. Es war ein sehr gutes und spannendes Projekt, aber wir waren uns keinesfalls sicher, was dabei herauskommen würde.
Haben Sie die Zweifel und die Kritik von anderen nicht gestört?
Das gehört zum Wesen der Wissenschaft und ist ganz normal, wenn Sie Neuland betreten. Es kommt außerdem immer mal wieder vor, dass man sich ein bisschen verläuft und dann muss man den Kurs eben korrigieren. Aber durch meine Arbeit am Institut habe ich täglich den Fortschritt gesehen, den wir machten. Ich wusste, jemand, der von außen zusieht, kann nicht dasselbe Gefühl für die Sache entwickeln wie wir, die wir direkt am Problem gearbeitet haben.
Ihrer Promotion haben Sie eine Postdoc-Zeit am Max-Planck-Institut angeschlossen und sich an der TUM habilitiert. Dann erhielten Sie den Ruf auf eine Professur für Biochemie am University of Texas Southwestern Medical Center, den Sie auch annahmen. Hegten Sie schon länger den Wunsch, in den USA zu arbeiten?
Der Ruf kam für mich aus heiterem Himmel. Mitte der achtziger Jahre hatten Hartmut Michel, weitere Kollegen und ich ein tolles Ergebnis rund um ein photosynthetisches Reaktionszentrum erzielt. Daraufhin wurden wir eingeladen, weltweit Vorträge zu halten. Ich spürte, dass das für mich nun der Zeitpunkt war, mich um eine eigene Gruppe oder eine unabhängige Position in der Wissenschaft zu bemühen. Ich habe mich an mehreren Universitäten und Institutionen in Deutschland beworben, wurde auch eingeladen, habe Vorträge gehalten. Und plötzlich eines Tages hatte ich einen Brief aus Dallas, Texas, in meinem Briefkasten mit einem Jobangebot.
Wie kam das?
Es stellte sich heraus, dass in einem der vielen Vorträge, die ich gehalten hatte, jemand saß, der einen Freund hatte, der gerade in Dallas ein Biochemie-Department an einer medizinischen Hochschule aufbaute. Er suchte dringend Personen, die dort im Bereich Strukturbiologie forschen sollten. Viele Experten auf dem Feld gab es nicht. Und da erinnerte sich der Teilnehmer aus meinem Vortrag an mich.
War für Sie gleich klar, dass Sie das Angebot annehmen würden?
Mein Problem war, dass ich die Institution, die das Angebot machte, überhaupt nicht kannte. Und googeln ging damals ja noch nicht (lacht). Aber wir hatten einen Postdoc in unserer Abteilung, der aus den USA kam. Ihn bat ich um seine Meinung. Wenn er an meiner Stelle wäre, sagte er, würde er das Angebot sofort annehmen. Also beschloss ich, auf einer meiner nächsten USA-Reisen nach Dallas zu fahren und mir das Ganze anzusehen. Und ich war sehr angetan. Ich hatte allerdings auch ein Angebot von einer deutschen Universität.
Was gab letzten Endes den Ausschlag für die USA?
Es gab einen kulturellen Unterschied, der eine große Rolle bei der Entscheidung spielte. Die Texaner sagten zur mir: Wir wollen, dass du zu uns kommst. Sag uns, was du brauchst, und du bekommst es. In Deutschland war man mir gegenüber sehr viel zögerlicher. Es hieß: Ja, vielleicht, mal sehen. Also ging ich nach Texas.
Sie waren acht Monate Professor in Texas, dann kam die Nachricht, dass Sie den Nobelpreis erhalten – gemeinsam mit Robert Huber und Hartmut Michel. Haben Sie etwas davon geahnt?
Es gab ab und zu Kollegen, die sagten: Du wirst sehen, eines Tages. Aber ich dachte immer, das dauert mindestens noch 20 Jahre. Dass es so schnell ging, war total unerwartet. Letzten Endes war das sehr gut, denn der Nobelpreis hat mein Leben unterm Strich deutlich leichter gemacht.
Wie genau?
Diese Auszeichnung erlaubt es einem, genau die Forschung zu betreiben, die man machen will. Es ist einfacher, die nötige Finanzierung zu erhalten. Man muss sich nicht mehr so viel rechtfertigen. Es spielt nicht so eine große Rolle, ständig bahnbrechende Forschungsergebnisse zu erbringen. Gleichzeitig sind aber natürlich auch die Ablenkungen sehr vielfältig. Einladungen zu Konferenzen und Vorträgen, Interviews und öffentliche Auftritte. Man könnte die ganze Zeit unterwegs sein. Inzwischen hat sich das bei mir etwas gelegt, auch durch die Pandemie, und ich bin ehrlich gesagt dankbar dafür.
Wie haben Sie erfahren, dass Sie den Nobelpreis erhalten?
Das Lustige ist, dass man zuerst in Deutschland nach mir gesucht hat. Ich war ja erst vor kurzem ausgewandert. Die Presse hat also zuerst meine Familie in Deutschland überfallen (lacht). Es dauerte etwa zwei Stunden, bis sich herumsprach, dass ich in Texas bin. So hatte ich glücklicherweise etwas Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden. Die medizinische Hochschule, an der ich tätig war, hatte schon vorher zwei Nobelpreisträger gehabt und wusste genau, was passieren würde. Das hat mir sehr geholfen.
Welcher Moment von den Tagen der Verleihung des Nobelpreises in Stockholm ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Meine Mutter war ein großer Fan der schwedischen Königin. Für mich war es also ganz besonders, meine Eltern dabei zu haben und sie zusammen mit der Königsfamilie zu sehen. Und es hat mich natürlich stolz gemacht, ihnen zu zeigen, dass ihr Vertrauen in mich und meine Ausbildung berechtigt war. Meine Frau sagt allerdings, ich wäre während der Zeit in Stockholm eher schlecht gelaunt gewesen, vor allem, weil das Programm praktisch rund um die Uhr lief. Ich bin eher introvertiert und war es damals noch nicht gewohnt, im öffentlichen Licht zu stehen (lacht).
Sie sagen, der Nobelpreis hätte Ihnen die Möglichkeit gegeben, Ihre Forschung relativ frei gestalten zu können. Auf welche Erkenntnisse und Projekte aus den letzten Jahren sind Sie besonders stolz?
Das Tolle war ja, dass wir in Texas die Biophysik-Gruppe ganz neu aufgebaut haben. Es war ein vollkommen neues Feld und es gab eine Vielzahl von Projekten, aus denen man aussuchen konnte. Es gab die erfolgversprechenden Projekte, aber auch die Projekte, deren Erfolg eher unwahrscheinlich war, die man aber trotzdem durchführen konnte, um zu sehen, was passiert. Im Grunde so, wie Wissenschaft einfach sein muss. Eine Studentin hat die Struktur eines Enzyms bestimmt, das von Cholesterin-Medikamenten inhibiert wird. Eine andere Mitarbeiterin hat einen großen Teil des LDL-Rezeptors rekristallisiert und die Struktur bestimmt. Das waren große Erfolge.
Kommt es auch mal vor, dass Sie ein wissenschaftliches Problem nicht auf Anhieb lösen können?
Selbstverständlich.
Und was machen Sie dann?
Ich bin eher der Typ, der dann an seinem Laptop sitzen bleibt, und die Lösung irgendwo auf dem weißen Papier oder in den Daten sucht. Da steht sie natürlich nicht, aber irgendwann komme ich dann auf neue Ideen oder mir fallen andere Wege ein, die ich dann ausprobiere. Zurzeit versuche ich zu verstehen, wie die Anwendung von Künstlicher Intelligenz in der Strukturvorhersage funktioniert.
Auch für Sie gibt es also immer wieder neue Herausforderungen?
Gerade wenn sich Technologie ändert, kann das der Wissenschaft eine völlig neue Richtung geben. In unserem Feld gab es lange einen Wettstreit darum, wer die bessere Technologie hat, um die Strukturen der Proteine abbilden zu können. Viele Jahre war die Röntgenkristallographie, die wir am Max-Planck-Institut nutzten, im Vorteil. Insbesondere ab 2013 begann die Kyro-Elektronenmikroskopie das Feld der Strukturbiologie zu revolutionieren. Mit dieser hat übrigens Joachim Frank gearbeitet, der etwa zeitgleich mit mir an der TUM bei Walter Hoppe promovierte. Er erhielt dafür 2017 den Nobelpreis für Chemie. Seit ein paar Jahren hält eine neue Technologie Einzug: Jetzt wird Künstliche Intelligenz verwendet, um die Qualität der Bildkonstruktion zu erhöhen, die Datenverarbeitung zu beschleunigen und Strukturen mit höherer Genauigkeit zu bestimmen. Was heutzutage möglich ist, hätte ich nie erwartet.
Vor 50 Jahren haben Sie an der TUM promoviert. In diesem Jahr feiern Sie Ihr Goldenes Promotionsjubiläum mit vielen Alumni am 12. Oktober in Garching und werden vom Präsidenten mit der Goldenen Promotionsurkunde ausgezeichnet. Was bedeutet das für Sie?
Ich bin mir sicher, es wird für mich ein emotionaler Moment werden. Ich habe der TUM einfach unheimlich viel zu verdanken. Es wäre nicht vorstellbar, dass ich heute hier sitze, ohne das, was ich an der TUM gelernt habe. Ich freue mich, dass ich im Oktober dabei sein darf. Und ich hoffe, dass ich einige meiner damaligen Kommilitonen wiedersehe.
Sie haben erzählt, in den sechziger Jahren war die TUM ein Anziehungspunkt für angehende Physikerinnen und Physiker aus ganz Deutschland. Wie schätzen Sie die Bedeutung der TUM heute ein?
Die TUM ist eine der anerkannten Topinstitutionen in Deutschland und ihr Ruf reicht mittlerweile in die ganze Welt. Heutzutage spielt die TUM eine noch bedeutendere Rolle als damals. In den sechziger Jahren war sie bereits ein Magnet für Talente, doch inzwischen hat sie sich zu einer globalen Drehscheibe für Spitzenforschung und Innovation entwickelt. Die Vernetzung mit internationalen Wissenschaftlern und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind auf einem beeindruckenden Niveau. Für mich persönlich bleibt die TUM ein Symbol für Exzellenz und Innovation. Sie hat mich damals geprägt und tut dies auch weiterhin für Studierende und Forschende weltweit. Ich bin stolz, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
Porträtaufnahme von Johann Deisenhofer.

TUM Alumnus und Nobelpreisträger Prof. Dr. Johann Deisenhofer (Foto: Johann Deisenhofer).

Prof. Dr. Johann Deisenhofer

Diplom Physik 1971, Promotion 1974, Habilitation 1987

Johann Deisenhofer wurde am 30. September 1943 in Zusamaltheim, einem kleinen Dorf in Bayern, geboren. Er entwickelte bereits früh eine Leidenschaft für Naturwissenschaften, insbesondere die Astronomie, was ihn schließlich zur Physik führte. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst entschied er sich, an der TUM Physik zu studieren, inspiriert von der Arbeit des Nobelpreisträgers Rudolf Mößbauer, der gerade an die TUM gewechselt war. Für das Studium erhielt er ein Stipendium für besonders Begabte.

Nach seinem Diplom setzte Johann Deisenhofer seine wissenschaftliche Laufbahn in der Biophysik fort, und begann eine Promotion bei TUM-Professor Dr. Robert Huber, der eine Gruppe am Max-Planck-Institut für Eiweiß- und Lederforschung in Martinsried bei München leitete. Die Forschungsarbeit konzentrierte sich auf die Kristallstrukturanalyse von Proteinen, eine damals noch junge und herausfordernde Disziplin. In Zusammenarbeit mit Robert Huber und Professor Dr. Hartmut Michel gelang es Johann Deisenhofer, die dreidimensionale Struktur des photosynthetischen Reaktionszentrums von Purpurbakterien zu entschlüsseln. Diese bahnbrechende Arbeit ermöglichte ein tieferes Verständnis der photosynthetischen Prozesse und wurde 1988 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Johann Deisenhofer setzte seine Karriere in den Vereinigten Staaten fort. Er wurde Professor an der University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas, wo er weiterhin bedeutende Beiträge zur Strukturanalyse von Proteinen leistete. Seine Forschung umfasst nicht nur die Photosynthese, sondern auch andere biologische Prozesse wie die Signaltransduktion und die Immunabwehr.

Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit engagiert sich Johann Deisenhofer auch in der Ausbildung der nächsten Generation von Wissenschaftlern. Er ist ein gefragter Redner auf internationalen Konferenzen und wurde mit zahlreichen Ehrungen und Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Akademien ausgezeichnet. Seine Arbeit hat maßgeblich zur Entwicklung der Strukturbiologie beigetragen und inspiriert weiterhin Forscher weltweit.

Neben dem Nobelpreis hat Johann Deisenhofer zahlreiche weitere Aufzeichnungen erhalten, darunter 1990 das Bundesverdienstkreuz und 1992 den Bayerischen Verdienstorden. 2024 feiert Johann Deisenhofer im Kreis der TUM Familie sein Goldenes Promotionsjubiläum.