Porträtfoto von TUM-Präsident Thomas F. Hofmann und Botschafter Chong Hock Lee.

TUM Alumnus Chong Hock Lee (r.), Botschafter für Singapur in Deutschland, zusammen mit TUM-Präsident Thomas F. Hofmann (Bild: TUM Asia).

Alumni in der Politik
Botschafter Chong Hock
„Wir müssen unseren besten Talenten ermöglichen, Lösungen für die Zukunft zu entwickeln”
18. Dez 2023  |  
Lesezeit ca. Min.
In den neunziger Jahren studierte der Singapurer Chong Hock Lee an der TUM Maschinenwesen. Trotz einschlägiger Praktika führte ihn seine Karriere aber nicht in die Automobilbranche, sondern in die Politik. Viele Jahre brachte er seine Fähigkeiten am Ministerium für auswärtige Angelegenheiten in Singapur ein und war dort auch mit internationalen Krisen befasst. Als die Corona-Pandemie ausbrach, war er dafür verantwortlich, Singapurs Staatsbürger aus dem Ausland zu evakuieren und getrennte Familien wieder zusammenzuführen.

Seit August 2023 ist Chong Hock Lee Botschafter für Singapur in Deutschland und wurde von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in einer feierlichen Zeremonie im Schloss Bellevue akkreditiert. Seither wirkt von er seinem neuen Arbeitsplatz in Berlin aus daran mit, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland und Singapur gemeinsam an den Herausforderungen der Zukunft arbeiten können.

Herr Lee, kürzlich haben Sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Schloss Bellevue getroffen. Wie war das?
Natürlich ein ganz besonderer Moment in meiner Karriere. Es war sehr feierlich, ein Staatsakt. Dadurch wird einem die Bedeutung der Aufgabe, die man jetzt in Angriff nimmt, noch bewusster. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt. Schloss Bellevue ist ein beeindruckender Ort und Frank-Walter Steinmeier schätze ich seit vielen Jahren persönlich sehr. Ich freue mich wirklich, jetzt wieder hier in Deutschland zu sein.
Sie haben in den neunziger Jahren an der TUM Maschinenwesen studiert. Wie kam es dazu?
Mein Vater hat in Singapur 18 Jahre lang für eine deutsche Firma gearbeitet. Das ist nicht so ungewöhnlich, weil viele deutsche Unternehmen einen Sitz in Singapur haben und unsere beiden Länder ökonomisch stark miteinander verbunden sind. Durch seine Tätigkeit war Deutschland bei uns in der Familie immer präsent – zum Beispiel auch als Thema beim Abendessen. Zum Studium nach Deutschland kam ich aber durch ein Stipendium unserer Regierung.
Wie das?
Singapur verfolgt seit vielen Jahren eine sehr aktive Politik, mit der die Regierung junge Talente zum Studieren in andere Länder schickt. Die Studierenden erhalten Stipendien und können damit zum Beispiel nach Deutschland, Frankreich oder Japan gehen. Das soll dazu führen, dass sie die Kulturen, Menschen und Systeme in diesen Ländern kennen und verstehen lernen. Singapur profitiert davon, wenn die Studierenden zurückkehren und ihre Kenntnisse in unserem Land einbringen. Es wurde also entschieden, dass ich nach Deutschland gehen sollte. Die TUM hatte schon damals einen exzellenten Ruf, eine lange Liste an Nobelpreisträgern, Top-Unternehmen in unmittelbarer Nähe, Berge vor der Haustür und natürlich eine wunderschöne Stadt um sich herum. Also fiel mir die Entscheidung leicht (lacht).
Ihre Vorlesungen im Fach Maschinenwesen waren auf Deutsch. Konnten Sie die Sprache?
Ich habe einen achtmonatigen Deutschkurs in Köln absolviert und danach die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang gemacht. Das war verpflichtend, um das Studium an der TUM beginnen zu dürfen. Genauso wie das Praktikum, für das ich dann noch zu BMW gegangen bin, in eine Gießerei nach Landshut. Also hatte ich bereits einige Sprachkenntnisse. Die erste Vorlesung war trotzdem recht ernüchternd. Ich erinnere mich, dass ich mich nach einer halben Stunde zu meinem Kommilitonen neben mir umdrehte und flüsterte: „Ich verstehe nur dreißig Prozent von dem, was der Professor sagt.“ Und er antwortete: „Macht nichts. Ich komme aus Schwaben und verstehe das auch nicht. Das ist Bayerisch.“ Ich musste mich also schon durchkämpfen (lacht). Aber ich hatte an der TUM eine fantastische Zeit.
Was hat Ihnen dabei geholfen, ein Studium in der Fremde durchzuziehen?
Ich denke, es war das Umfeld, das mich so motiviert hat. Ich habe Freunde gefunden, die mich sehr unterstützt haben und die immer da waren, um zu helfen. Nach einer Weile habe ich gar nicht mehr gemerkt, ob etwas auf Deutsch oder Englisch gesagt wurde. Ich war so vertieft in die Thematik, neugierig auf den Stoff und gefesselt von dem gemeinsamen Tüfteln an den Aufgabenstellungen. Auch die Umgebung und der Spirit an der TUM war sehr förderlich für das Lernen. Hier wird viel Eigenverantwortung von den Studierenden erwartet.
Wie meinen Sie das?
Das ist sicher eine Besonderheit des deutschen oder europäischen Hochschulsystems. Es ist sehr liberal organisiert. Man kann viel selbst entscheiden und man muss es auch. Man muss Kurse aussuchen, Schwerpunkte setzen, Zeitpläne entwickeln. Damit tun sich internationale Studierende zuweilen schwer, weil sie es anders gewohnt sind. Aber es ist eine wichtige Lektion: Wenn wir etwas in unserem Leben erreichen wollen, müssen wir es selbst in die Hand nehmen.
Nach dem Studium ging es für Sie zurück nach Singapur. Warum?
Zum einen, weil ich zunächst meinen Militärdienst absolvieren musste. Zum anderen verpflichtete mein Stipendium mich dazu, einige Jahre für die Regierung zu arbeiten. Diese Arbeit war aber so abwechslungsreich und hat mir so viel gegeben, dass ich gerne dabeigeblieben bin (lacht). Schließlich hat man mir die Möglichkeit gegeben, mich mit einem Master weiterzubilden. Ich habe mich für Political Science entschieden und bin dafür in die USA an die Columbia Universität gegangen. Dort wollte ich einfach noch einmal andere Erfahrungen sammeln, als ich sie in Europa gemacht habe.
Und hat sich Ihre Perspektive verändert?
Gleich doppelt. Zum einen herrscht in den USA eine ganz andere Kultur als in Singapur oder Europa. Die Amerikaner haben keine Angst, Fehler zu machen und zu scheitern. Sie können hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen und so weiter. Das ist für sie kein Problem. Sie sind sehr unternehmerisch und können sich sehr gut selbst vermarkten. Die Marke „Made in Germany“ ist stark und trotzdem könnten sich die Deutschen von der Selbstvermarktung der Amerikaner noch eine Scheibe abschneiden. (lacht) Darüber hinaus erweiterte das Politikstudium meinen Horizont.
Jeder europäische Student sollte eine Zeit lang in China, Indien, Japan oder Südostasien gewesen sein.

Chong Hock Lee

Inwiefern?
Ingenieure werden als Problemlöser ausgebildet. Wenn wir ein Problem sehen, dann wollen wir es sofort lösen. Durch die Politikwissenschaft und meine diplomatische Arbeit habe ich gelernt und akzeptiert, dass manche Probleme nicht gelöst werden können oder zumindest im Augenblick nicht gelöst werden können oder man selbst vielleicht nicht die richtige Person dafür ist. Es braucht Geduld und Weitsicht, um das zu akzeptieren.
Sie waren viele Jahre im Auslandsministerium tätig. Was hat Ihnen an dieser Arbeit besonders gefallen?
Es war ein abwechslungsreicher und besonderer Job. Ich wusste nie genau, was im Laufe des Tages passieren würde. Es gab immer wieder neue Entwicklungen und ich habe diese Art von Herausforderungen genossen, denen ich mich jeden Tag stellen durfte. Gleichzeitig konnte ich Menschen konkret helfen. Von 2016 bis 2020 war ich Konsularchef. Es gab verschiedene Krisensituationen, in denen wir Teams koordinieren und an Orte im Ausland schicken mussten, um unsere Staatsangehörigen zu unterstützen.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Im Januar 2020 brach die Covid-Pandemie aus. Gemeinsam mit meinem Team musste ich Evakuierungsflüge nach Wuhan organisieren und Familien von dort sicher nach Singapur zurückbringen. Das war aber nicht so einfach. Wir wussten alle nicht, womit wir es bei diesem Virus zu tun hatten und was in Wuhan wirklich los war. Ich musste Kollegen finden, die freiwillig den ersten Flug nach Wuhan nahmen. Das war eine große Herausforderung. Etwas später wurde ich Generaldirektor für Europa und hatte die Aufgabe, Familien, die durch die Pandemie getrennt worden waren, wieder zusammenzuführen. Eine schöne Aufgabe, weil man direkt sah, wie glücklich man die Menschen gemacht hatte.
Was hat Ihnen dabei geholfen, diese herausfordernden Situationen zu meistern?
Auch etwas, das ich in Deutschland gelernt habe, aber nicht so, wie Sie vielleicht denken (lacht). Ich erinnere mich, dass ich mit einigen meiner deutschen Freunde in einem Auto saß. Wir fuhren los und merkten, dass nicht alle Türen richtig geschlossen waren. In Singapur hätten wir zunächst diskutiert, wo der Fehler liegen könnte, dann das Auto angehalten, um die problematische Tür zu überprüfen. Aber was machten meine deutschen Freunde? Jeder öffnete die Tür neben der er saß ganz schnell, während das Auto fuhr, und schloss sie sofort wieder. Dadurch war das Problem innerhalb von Sekunden gelöst. Jeder meiner Freunde handelte ganz automatisch und ohne Absprache. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. In brenzligen Situationen muss man einfach handeln, statt Schritt für Schritt vorzugehen. Man hat nicht immer den Luxus, sich hinzusetzen und das Problem analysieren zu können. Manchmal muss man einfach handeln und dann unterwegs improvisieren und seinen Ansatz immer wieder anpassen, um ein Problem so gut wie möglich zu lösen.
Inwiefern können Sie denn auch Ihre Ingenieurkenntnisse heute in Ihre tägliche Arbeit einbringen?
Ich habe mich während des Studiums an der TUM auf Energietechnik spezialisiert. Damals war das gar kein so heißes Thema, aber heute ist es dafür umso wichtiger. Viele Probleme, die wir heute haben, betreffen die Energieerzeugung. Und so kommt das Thema immer wieder in meinem Alltag vor. Wir brauchen dringend technische Lösungen in Hinblick auf den Klimawandel und gegen die Energiekrise. Dafür müssen wir zusammenarbeiten – und zwar weltweit.
Wie meinen Sie das?
Viele Probleme betreffen uns gemeinsam als Weltgemeinschaft. Wir brauchen Innovationen, die uns helfen, diese Probleme anzugehen. Und dafür brauchen wir die besten Köpfe weltweit. Wir müssen unseren besten Talenten die Chance geben, produktiv über Länder hinweg zusammen zu arbeiten. Das ist eines der wichtigsten Ziele der Wissenschaftsdiplomatie und ein wichtiges Ziel, dass ich mir selbst als Botschafter gesetzt habe. Ich möchte die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern fördern. Diese Zusammenarbeit sollte schon früh beginnen, am besten bei den Studierenden. Insofern war es eine exzellente Entscheidung der TUM im Jahr 2002, einen Auslandscampus in Singapur zu eröffnen. Auch die Forschung ist dort sehr erfolgreich mit der Plattform TUMCREATE. Forscherinnen und Forscher aus Singapur und von der TUM arbeiten hier zusammen an wichtigen Zukunftsthemen wie beispielsweise Elektromobilität oder Lebensmittelforschung. Ich war vor kurzem wieder an der TUM Asia und durfte an einem Alumni-Treffen teilnehmen. Es ist beeindruckend zu sehen, was die TUM, ihre Professorinnen und Professoren und natürlich die Studierenden dort leisten. Ich bin richtig stolz auf meine Alma Mater.
Wünschen Sie sich generell noch mehr Studierendenaustausch?
Es ist aus meiner Sicht essentiell, dass deutsche Studierende Erfahrungen außerhalb von Deutschland sammeln. Jeder von ihnen sollte eine Zeit lang in China, Indien, Japan oder Südostasien gewesen sein. Gleichzeitig müssen Studierende aus Asien in den Westen kommen, sei es nach Europa oder in die USA. Das wird die Art des Lernens und die Zusammenarbeit in der Wissenschaft bereichern, so dass wir gemeinsam versuchen können, Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Jeder sollte bereits in jungen Jahren eine Auslandserfahrung gemacht haben. Dabei gibt es viel zu gewinnen.
Porträtbild von TUM Alumnus Chong Hock Lee.

TUM Alumnus Chong Hock Lee (Bild: Botschaft Singapurs in Berlin).

Chong Hock Lee

Diplom Maschinenwesen 2001

 

Chong Hock Lee kam 1996 nach München an die TUM, um Maschinenwesen zu studieren. 2001 schloss er das Studium mit Diplom ab und ging zurück in sein Heimatland Singapur, um dort für die Regierung zu arbeiten. Viele Jahre lang war er in verschiedenen Positionen im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten tätig und brachte seine Kenntnisse im Büro des Premierministers ein.

Seine fachlichen Fähigkeiten erweiterte er anschließend durch einen Master in Political Science, den er an der Columbia Universität in New York absolvierte. Danach war er Deputy Chief of Mission an der Botschaft von Singapur in Thailand sowie Konsulchef und Generaldirektor für Europa am Außenministerium in Singapur. Seit August 2023 ist er Botschafter für Singapur in Deutschland und in dieser Rolle von Berlin aus tätig.

Gemeinsam die Welt gestalten

Dieser Artikel ist Teil der Ausgabe 1/2023 des TUM Alumni Magazins KontakTUM.

Hier finden Sie die gesamte Ausgabe als PDF>

Hier lesen Sie weitere Artikel aus dem Alumni-Magazin>