Schon als Fünfzehnjähriger war Wolfram Ruhenstroth-Bauer Schüler an der Höheren Landwirtschaftsschule Troppau, die er 1942 mit dem Fachabitur abschloss. Nach Kriegsende 1945 war er der jüngste Student an der landwirtschaftlichen Fakultät der TUM. 1948 absolvierte er hier sein Diplom.
Lohnende Beharrlichkeit
Da er am eigenen Leib erfahren hatte, wie es sich anfühlt, entwurzelt und auf Hilfe angewiesen zu sein, beschäftigte sich Wolfram Ruhenstroth-Bauer schon in der Studienzeit mit der Problematik der Heimatvertriebenen und insbesondere der Flüchtlingsbauern. Dass dies einmal seine Lebensaufgabe werden sollte, die ihn in Verbindung mit der politischen Elite bringen und ihm hohe Anerkennung einbringen sollte, vermutete Wolfram Ruhenstroth-Bauer damals noch nicht.
In der neu gegründeten Agrarsozialen Gesellschaft, deren Sitz die Universität Göttingen war, lernte er Fachleute hohen Grades kennen, die sich dem Problemkreis der aus Ost- und Südost-Europa geflüchteten Bauernfamilien widmeten. Insbesondere auch die Begegnung mit Theodor Oberländer, dem damaligen Staatssekretär für das Flüchtlingswesen im Bayerischen Staatsministerium des Inneren, sollte den Werdegang des jungen TUM Studenten entscheidend beeinflussen.
Man muss schon dranbleiben, wenn man etwas bewirken will.
Rasch wurde Theodor Oberländer bewusst, dass er sich nicht nur einen ausgesprochen klugen und fachlich versierten Kopf in das Haus geholt hatte. Er hatte obendrein einen Mitarbeiter eingestellt, der höchst motiviert war und dessen erfolgsorientiertes Handeln weit jenseits gewohnter Beamtenmentalität und karrierepolitischem Kalkül rangierte. Wolfram Ruhenstroth-Bauer war von einer grundlegenden humanitären Überzeugung geleitet, die das große Ganze ebenso wie das Einzelschicksal im Blick hatte. Aus seiner zutiefst empfundenen Mitmenschlichkeit erwuchsen dem jungen Staatsbeamten eine stets geachtete, bisweilen gefürchtete Entschlossenheit, Durchsetzungsfähigkeit und Überzeugungskraft. Erbittertem Widerstand musste er standhalten, um selbst aussichtslose Projekte zum Erfolg zu führen.
Nach seinem Wechsel aus der bayerischen Verwaltung in die Bundesregierung – Theodor Oberländer war inzwischen Bundesminister geworden – war für Wolfram Ruhenstroth-Bauer der Zeitpunkt seines höchsten persönlichen Einsatzes gekommen. Er organisierte einen Ostdeutschen Bauerntag mit mehreren tausend Teilnehmenden und gewann mit Hilfe von Theodor Oberländer Bundeskanzler Konrad Adenauer zu einer programmatischen Rede, in der er die Finanzierung als Voraussetzung einer Realisierung eines Fünfjahresprogramms zur Existenzsicherung von etwa 10.000 Flüchtlingsfamilien zusagte. Bei der westlichen Weltpresse wurde diese Erklärung des deutschen Bundeskanzlers als entscheidender Schritt gegen die sowjetischen Bemühungen kommentiert, Westdeutschland politisch zu annektieren. Kein Mensch in Bonn oder andernorts ahnte den Hintergrund dieser von Wolfram Ruhenstroth-Bauer konzipierten Regierungserklärung, auf dessen Grundlage das hohe Ziel der Mitmenschlichkeit konsequent umgesetzt wurde.
Nach Ablauf der Eingliederungspläne wechselte Wolfram Ruhenstroth-Bauer in das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, von dem aus er wieder ein international hochgelobtes Projekt in einer in Südbrasilien liegenden landwirtschaftlichen Genossenschaft bei donauschwäbischen Flüchtlingen aus Jugoslawien zum Erfolg brachte. Die in Fachkreisen bekannte Genossenschaft AGRARIA in Paraná ist heute die zweitgrößte landwirtschaftliche Genossenschaft ganz Brasiliens. Bei diesem wie in zahlreichen anderen Entwicklungsprojekten kam der erste Anstoß und erste materielle Hilfe von Wolfram Ruhenstroth-Bauer, in der Regel selbstverständlich im Rahmen der entwicklungspolitischen Gesamtplanung der Bundesregierung.
Lebenslange Einsatzfreude
Für seinen beispiellosen persönlichen Einsatz für menschliche und soziale Entwicklungen wurde Wolfram Ruhenstroth-Bauer mit hohen Auszeichnungen gewürdigt. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, der Bayerischen Staatsmedaille und des vatikanischen Ritterordens. Als erster Deutscher wurde er zum Ehrenbürger des brasilianischen Bundesstaates Paraná ernannt: eine Auszeichnung, die neben ihm auch John F. Kennedy und Papst Paul Johannes II erhalten haben.
Wolfram Ruhenstroth-Bauer war zweifelsohne stolz auf seine Arbeitsergebnisse und sich seiner Verdienste bewusst. Es wundert nicht, dass Wolfram Ruhenstroth-Bauer auch in hohem Alter noch jede Möglichkeit nutzte, um für seine Mitmenschen parat zu stehen. Kaum war er 2015 in ein Seniorenstift im Südosten Münchens gezogen, wurde er dort schon in den Beirat gewählt, an den sich die Bewohnerinnen und Bewohner mit Anliegen und Problemen wenden können. Kein Tag verging, an dem der Ministerialdirigent a. D. nicht seine Runden im Schwimmbad des Stifts drehte oder auf dem hauseigenen Klavier Bach, Beethoven und Schubert spielte. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit und gefühlvoll bewegten sich seine Finger über die Tasten. „Ein bisschen etwas, muss man auch für sich selbst tun“, erklärte er dazu.
Diplom Agrarwissenschaften 1948, Promotion Agrarwirtschaft 1976
Schon als mittzwanzigjähriger TUM-Absolvent der Agrarwissenschaften trat Wolfram Ruhenstroth-Bauer seine erste Stelle im Staatsdienst an. Fast vierzig Jahre lang setzte er sich, zuletzt als Ministerialdirigent, in vier Ministerien und auf dutzenden Auslandsreisen mit beispiellosem Engagement für die Flüchtlings- und Entwicklungshilfe ein.
1951 begann Wolfram Ruhenstroth-Bauer seine Karriere in der Flüchtlingsabteilung des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren. 1954 wechselte er an das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte nach Bonn. 1962 wurde er am Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Referenten berufen. Schließlich zog es Wolfram Ruhenstroth-Bauer wieder zurück nach München: 1972 wurde er zum Leiter der Obersten Siedlungsbehörde im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ernannt. Ab 1982 und bis 1987 oblag ihm die Leitung der dortigen Abteilung Betriebswirtschaft und Betriebsstruktur. Mit der von ihm gegründeten Alfons Goppel-Stiftung rief Wolfram Ruhenstroth-Bauer in München eine einzigartige Benefizkultur ins Leben, mit deren Einnahmen er die karitativen Projektes der Stiftung realisieren konnte.
Während seiner Zeit am Bayerischen Staatsministerium realisierte Wolfram Ruhenstroth-Bauer den lang gehegten Wunsch, seine Arbeitserfahrungen wissenschaftlich zu untermauern. 1976 promovierte er sich an der TUM in Agrarwirtschaft, 1984 an der LMU in Volkswirtschaft. Nachdem er sich 1987 auf eigenen Wunsch von seinen Ämtern im Staatsdienst zurückgezogen hatte, begann er, sein Wissen an junge Menschen weiterzugeben. Sein bemerkenswertes Engagement im Staatsdienst setzte sich im Umgang mit seinen Studierenden an der Fachhochschule Weihenstephan fort. Diesen vermittelte er sein Fachgebiet der Entwicklungspolitik anschaulich anhand konkreter Beispiele aus seiner eigenen langjährigen Praxis und mit Exkursionen nach Brasilien, Paraguay, Ägypten und Indien.
Für sein unermüdliches Engagement wurde Wolfram Ruhenstroth-Bauer vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande, der Bayerischen Staatsmedaille in Silber, dem Verdienstorden der Regierung von Paraguay und dem vatikanischen Ritterorden vom Heiligen Grabe zu Jerusalem. Ungeachtet aller Ehrungen war für Wolfram Ruhenstroth-Bauer die Hochzeit mit seiner Frau Brigitte im Jahr 1947 die wichtigste Lebensstation.
Im August 2024 verstarb Wolfram Ruhenstroth-Bauer im Alter von 99 Jahren.